Einmal Facon bitte

 Schere

 

Die Geschichte hat sich Anfang der 1960er Jahre an einem Mittwoch, dem Vorabend des Fronleichnamsfestes abgespielt. Am Abend stellte Fräun Marie, die Pfarrhaushälterin und ältere Schwester unseres damaligen Pfarrers Kordick fest, dass seine Nackenhaare viel zu lang seien und er sich schämen sollte, so die Monstranz mit dem Allerheiligsten durch das Dorf zu tragen.

Es begann schon dunkel zu werden, als der Pfarrer beim Bader Toni an die Tür klopfte. Frau und Kinder waren schon im Bett. Er saß am Küchentisch, hörte Radio und las noch die Zeitung. Toni hatte den ganzen Tag mit der Heuernte zu tun und hat dann noch die Tiere im Stall versorgt. Nur widerwillig öffnete er die Tür zu seinem Salon um den Pfarrer noch als Kunde weit nach den üblichen Geschäftszeiten seinen Wunsch zu erfüllen.

Tonis Baderstube war mit zwei Waschbecken, großen Spiegeln und allen Gerätschaften gut eingerichtet. Es duftete nach Parfum, Haarwasser und Seife. Die blitzenden Rasiermesser waren am Fensterbrett auf einem schwarzen Samttuch abgelegt. An der Wand war der Lederriemen zum Abziehen der Rasiermesser befestigt. Daneben stand der silberne Flakon mit Haarwasser, mit dem man nach dem Grobschnitt kräftig eingerieben wurde. Alles befand sich immer feinsäuberlich an seinem Platz. Er schnitt allen Buben und Männern regelmäßig monatlich die Haare. Auch Rasieren gehörte zu seinen Dienstleistungen. In der Vitrine im Schrank hielt er auch allerhand Mittelchen gegen Schmerzen, Hustensaft, sowie Rasierklingen, Frisiercreme und in der Schublade auch Dinge parat, die wir Kinder nicht sehen durften. Die Musik aus dem Küchenradio konnte sogar in die Frisierstube per Zusatzlautsprecher übertragen werden, was uns Buben schwer beeindruckte.

Einmal Facon, wie immer, verlangte der Pfarrer, nachdem er auf dem breiten Ledersessel mit Kopfstütze Platz genommen hatte. Der Bader begann mit seiner surrenden elektrischen Haarschneidemaschine die überlangen Haare vom Nacken bis hoch über die Ohren abzuschneiden. Wie immer zuerst die rechte Seite. Doch überkam ihn plötzlich eine solche Müdigkeit, dass er die halbfertige Arbeit abbrechen musste. Er komplimentierte den verdutzten Pfarrer zur Tür hinaus und ging ins Bett.

Wieder im Pfarrhaus angekommen schimpfte der Pfarrer seine Haushälterin fürchterlich, weil sie ihn in diese unmögliche Situation gebracht hatte. Mit einem halb gescherten Kopf konnte er unmöglich unter die Leute gehen, vonwegen die Fronleichnamsprozession abhalten. Er stellte sich schon den Spott seiner Schafkopfbrüder vor. Schließlich machte sich die Fräun Marie mit der Schere aus ihrem Nähzeug daran, die linke Seite des Kopfs einigermassen der rechten anzupassen. Sie hat ihre Arbeit gut gemacht. Ich war damals Ministrant und die Ungleichheit beider Seiten ist mir kaum aufgefallen.

Der Toni sagte später, er war einfach todmüde und habe nicht mehr gekonnt. Mit einem verschmitzten Lächeln fügte er noch seinen Lieblinsspruch hinzu: "A weng a Gaudi muaß a sei."

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