Besuchszeit

 

Eine heiter – besinnliche Geschichte von Richard Stadler

 

Teil 1

Ich lag nach einer Gallenblasen-OP an Ostern 2019 in der Kreisklinik Mallersdorf. Mir ging es noch gar nicht gut. Die Chirurgen hatten Schwerstarbeit zu leisten, weil schon alles entzündet war.

Meine Frau trug mir auf, ich sollte mich ordentlich zurechtmachen, mich schnäuzen und kampln, weil sicher Krankenbesuch kommen wird. Draußen war es schon recht frühlingshaft und das Zimmer hatte sich durch die offene Balkontür schon gut aufgeheizt.

 

Die Uhr zeigte 13 Uhr und schon klopfte es. Zwei Frauen mit jeweils zwei Kindern drängten bewaffnet mit Blumensträußen und Pralinenschachteln in das Krankenzimmer. Es waren die Töchter und Enkel von Hans vom Bett neben mir. Ein Kind war noch im Säuglingsalter und wurde im Arm getragen, die beiden Mädchen gingen dem Alter nach noch nicht zur Schule. Die größere mit der gelben Haarschleife hatte eine Zahnlücke in der sie einen roten Lolly hin- und herschob. Der Bub, wohl im Erstkommunionalter schaute nicht von seiner Spielkonsole auf, die unentwegt laut zischende und gluckernde Geräusche von sich gab. „Sagt‘s sche Grüß Gott zum Opa“, lautete der Befehl der Mütter, dem sie nur zögerlich nachkamen.

 

Es klopfte erneut. Es kam die Frau vom Sepp, der das Bett bei den Schränken belegte. Mehrere Taschen, noch ein Blumenstrauß und eine eingewickelte Weinflasche, die ihr die Nachbarin mit besten Grüßen mitgegeben hatte, waren im Gepäck. Sie begann sofort unaufhaltsam auf Sepp einzureden, ohne eine Atempause zu brauchen. Sepp hingegen schaute teilnahmslos an die Decke, auch er war noch sichtbar krank. Ich schloss die Augen und mir erschien wie in einem Film eine schnatternde Gans.

 

Auch Hans war längst nicht mehr im Spiel. Die beiden Schwestern unterhielten sich angeregt und tauschen den Tratsch über die Nachbarschaft aus. Die zwei Mädchen hatten ihre anfängliche Scheu verloren und bewegten sich fortan mit hüpfenden Bewegungen von der Tür zum Balkon, während sie schrille Freudenschrei ausstießen. Der Bub war beschäftigt mit seinem Spielzeug. Der Sauerstoff wurde knapp im Zimmer.

 

In mir begann sich in der Bauchgegend Druck aufzubauen, der die OP Narben anspannte und schmerzte. Wohl oder übel musste ich auf die Toilette. Qualvoll wand ich mich aus dem Bett und sammelte meine Drainagebeutel ein. Mit der anderen Hand bahnte ich mir mit dem fahrbaren Infusionsständer zwischen die Besucherinnen und ihren Taschen einen Weg zum Bad. Kaum hatte ich die Tür von innen verschlossen, herrschte auch draußen plötzlich andächtige Ruhe. Endlich hatte ich meine Schläuche geordnet und ich kam zum Sitzen. Mein Druck baute sich schlagartig aber sehr wohltuend mit dem jeden vertrauten Geräusch ab, das durch die Keramik noch deutlich verstärkt wurde. Das verursachte sofort große Erheiterung im Krankenzimmer für Klein und Groß. Um Zeit zu gewinnen habe ich mich umständlich gewaschen und versuchte langsam mit meinen Gerätschaften durch einen Türspalt herauszukommen um mit letzter Kraft mein Bett zu erreichen. Das war weiterer Grund zur Heiterkeit bei den Mädchen, die herumhüpfend das gehörte Geräusch in verschiedenen Tonlagen mehrstimmig nachäfften. In der Zwischenzeit waren auch noch zwei Arbeitskollegen von Sepp mit zwei Weinflaschen und Pralinen gekommen, um die Grüße der Firma zu überbringen. Sie erzählten ihm von allen möglichen Problemen der Arbeit während die „Gans“ nicht aufhören konnte gleichzeitig ihn anzuschnattern. Ich bahnte mir mühsam den Rückweg zu meinem Bett und war froh endlich wieder zu liegen.

 

Dieses Mal leises Klopfen. Es kam die nette Lernschwester Daniela. Sie grüßte freundlich in die Runde. Der Gruß wurde aber von den Besuchern nicht erwidert. Während Daniela immer mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen sich zu mir durcharbeitete, machte einer von Sepps Kollegen hinter ihrem Rücken eindeutige sexistische Handbewegungen. Sie kam zu mir alle 2 Stunden, um wegen der Entzündungswerte meine Temperatur zu messen: 38,2°, immer noch zu hoch.

 

Währenddessen hatten die beiden Töchter gleich eine Beschwerde vorzubringen. Sie seien schon eine halbe Stunde hier aber niemand bringt eine Vase für die Blumen. Schwester Daniela erklärte freundlich aber bestimmt, dass die Pflegekräfte von der Klinikleitung angewiesen sind, sich ausschließlich um die Patienten zu kümmern. Sie schlug vor ihnen den Schrank im Flur zu zeigen, wo Vasen aller Größen zur Selbstabholung bereitstünden. Diese Aufgabe wurde den beiden Mädchen übertragen. Nach einigem Klirren und Scheppern kamen sie mit zwei Vasen an, die sie neben mir auf der Fensterbank mit den Blumen aufbauten. Die Nachtkästchen neben den Betten waren schon völlig überladen. Beim Einfüllen des Wassers aus einer Getränkeflasche passierte das Malheur und eine Vase fiel um. Die Pfütze ergoss sich unter mein Bett und machte den Boden zu einer Rutschbahn. Ich schlug vor, im Bett zu bleiben, bis es getrocknet ist.

 

Schließlich wurde es den Mädchen langweilig, auch das Wickelkind schien Hunger zu bekommen. Schließlich machten sich daran aufzubrechen. Der Akku der Spielkonsole zeigte dagegen große Kapazität. Auch Sepps Arbeitskollegen schickten sich an zu gehen und ermunterten ihn bald wieder zur Arbeit zu kommen. Schließlich packte auch die Schnattergans zusammen. Noch durch den letzten Türspalt redete sie auf Sepp ein. Der brummelte nur: „Jetz Oide geh zua!“

 

Gott sei Dank, der erste Ansturm war geschafft. Die Uhr zeigte 14:30. Die reguläre Besuchszeit ging bis 16 Uhr. Es klopfte schon wieder …

 

Teil 2

Es war Mitte Dezember 2020. Bayern befand sich im Corona Teil-Lockdown. Ein operativer Eingriff in der Urologie war seit langem geplant und fiel in die Zeit vor Weihnachten. Es herrschte Besuchsverbot. Anfangs bedauerte ich, dass mich die geplanten 10 Tage nicht einmal meine Frau besuchen durfte. Doch hatten meine Zimmerkameraden und ich genug damit zu tun den üblichen Krankenhausablauf mit Visite und Untersuchungen zu absolvieren. Dank unseren Smartphones, Kopfhörern und dem kostenlosen WLAN in der Klinik hielten wir in begrenztem Umfang Kontakt zu unseren Frauen und Familien. Die Zeiten dazwischen nutzten wir zur Genesung und zum Schlafen.

 

Irgendwann werden auch die Corona bedingten Einschränkungen enden. Besuche werden wieder erlaubt sein. Es wäre zu wünschen, dass die Klinikleitung die Besuchszeiten und die Anzahl der Besucher etwas begrenzt, damit die Patientenzimmer nicht mit Besuchern überflutet werden und den Patienten Zeit und Ruhe zur Genesung bleibt.

 

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